Die aktuellen Krisen (z. B. Klimakrise, COVID-19-Pandemie, russische Invasion in der Ukraine und die daraus resultierende Energie- und Nahrungsmittelknappheit) zeigen, dass robuste und nachhaltige Versorgungsketten mit regionaler Lebensmittelproduktion und landwirtschaftlichen Flächen erforderlich sind, um die Lebensmittelversorgung in der Europäischen Union (EU) zu sichern. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass Bio-Lebensmittel widerstandsfähiger gegen Unterbrechungen der Lieferkette und Preisschwankungen sind. In diesem Zusammenhang untersuchen die Autor:innen des vorliegenden Forschungspapiers einen Ansatz für die nachhaltige und widerstandsfähige Umgestaltung von Agrar- und Lebensmittelnetzwerken: Kann eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze als finanzieller Anreiz dienen, um widerstandsfähige landwirtschaftliche Praktiken und nachhaltige Ernährungsgewohnheiten zu fördern?
Vor dem Hintergrund der Novellierung der europäischen Rahmenrichtlinie über die Verwendung der Mehrwertsteuer im Jahr 2022 modellieren die Autor:innen die Auswirkungen einer Anpassung des derzeitigen deutschen Mehrwertsteuersystems durch
- eine Senkung der Mehrwertsteuer auf vegetarische Bio-Lebensmittel auf 0 Prozent und
- eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf konventionelles Fleisch und Fisch auf 19 Prozent.
Auf der Grundlage historischer Daten zu Bio-Verkaufsanteilen und Preiselastizitäten prognostizieren die Autor:innen die Verkaufsanteile differenziert nach Produktgruppen für jedes Szenario. Anschließend berechnen sie für beide Szenarien die erwarteten Steuereinnahmen, die Veränderungen im Konsumverhalten und die entstehenden externen Gesamtklimakosten in Deutschland.
Die Forschungsergebnisse zeigen folgendes:
- Der Gesamtkonsumanteil von Bio-Lebensmitteln würde durch die modellierte Mehrwertsteuerreform im Vergleich zum Status quo um 21,83 Prozent steigen.
- Trotz der Mehrwertsteuersenkung auf 0 Prozent für vegetarische Bioprodukte würde die Maßnahme aufgrund der höheren Besteuerung von konventionellen Fleischprodukten zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 2,04 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland bringen.
- Jährliche Umweltkosten in Höhe von 5,31 Milliarden Euro können durch die geringeren externen Klimakosten von ökologischen und vegetarischen Lebensmitteln vermieden werden.
- Daher kann eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze auf dem Lebensmittelmarkt ein politisches Instrument sein, um den Konsum von Bio-Lebensmitteln zu fördern und die Tierhaltung zu reduzieren. Dies unterstützt die Reterritorialisierung der Landwirtschaft und eine nachhaltigere und widerstandsfähigere europäische Lebensmittelversorgung.